Das Meininger Hoftheater.

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Hast Du schon einmal die Meininger spielen sehen, mein lieber Leser ? - Deine Lippen umzuckt ein ironisches Lächeln und Deine Augen sehen den Frager mitleidig an ­ und mit Recht! Wird es doch wenige Gebildete in Deutschland geben, die keine Gelegenheit fanden, die weltberühmten Meininger auf einer ihrer zahlreichen Gastspielreisen kennen zu lernen. Von Osten nach Westen, von Norden nach Süden haben die Meininger Deutschland durchzogen, über den Canal lenkten sie ihre Schritte nach Englands Hauptstadt, und zu verschiedenen Malen durchstreiften sie Russlands Gauen, um überall künstlerische Ehren einzuernten und reichen, wohlverdienten Beifall zu finden.

Als sie zum ersten Male - es war im Frühjahr 1874 - in Berlin erschienen, da trieb den Grossstädter mehr Neugier wie Kunstinteresse in das damalige Friedrich-Wilhelm­städtische, nunmehr Deutsche Theater. Man hielt es für Anmaassung des Duodezstäätchens Meiningen, seine Schauspieltruppe nach der Reichs­hauptstadt zu entsenden, um dem dortigen Publikum, das seinen Shakespeare, Schiller, Göthe auswendig kannte, die Gebilde der Dichterfürsten in dramatischer Darstellung vorzuführen. "Was kann aus - Meiningen Gutes kommen" lachten die Habitués und machten sich bei Erstehung ihrer Plätze mehr auf einen amüsanten Durchfall der Künstlerschaar "aus der Provinz", als auf einen wirklichen Kunstgenuss gefasst.

Nur ein Mann lebte in Berlin, der die Meininger mit anderen Hoffnungen erwartete und die feste Ueberzeugung hegte, ihr Erscheinen in Berlin werde den Anfang einer neuen Aera der dramatischen Kunst bedeuten. Er hatte die Meininger an der Quelle als Gast des kunstsinnigen Herzogs Georg kennen gelernt und mit Staunen wahrgenommen, dass in dem kleinen, weltentrückten Meiningen seit langer Zeit die Hand eines Fürsten die dortige Bühne mit feinfühliger Fachkenntniss, mit uneigennütziger, nach den höchsten Zielen gerichteter Hingabe leitete; ihm war es kein Geheimniss, dass die kunstsinnige, geistreiche Gattin des Herzogs von Meiningen, Freifrau von Heldburg, welche früher als hochbegabte Darstellerin dem Theater angehörte, die Intentionen ihres Gemahls mit bühnen­praktischem Blick zu fördern und auszubauen wusste. Er hatte in dem fürstlichen Bühnenleiter zuerst den Gedanken wach gerufen, seine Künstlerschaar ausserhalb Meiningen auftreten zu lassen, indem er die schmeichelhafte Erklärung abgab: "Meiningen besitzt ein Kunstinstitut, wie es die grössten Städte Deutschlands nicht aufweisen, ein Theater, welches sich mit Fug und Recht überall sehen lassen kann und das mit seinen eigenartigen Leistungen weit über die Grenzen der deutschen Lande hinaus das Interesse aller wahren Theaterfreunde gefangen nehmen und den Beifall derselben im Fluge zu erringen wissen wird."

Dieser Mann war Karl Frenzel, der geistvolle Redacteur der National-Zeitung und Schöpfer zahlreicher künstlerisch vollendeter Erzählungen, und herrlich ist sein Wort in Erfüllung gegangen.

Die Meininger debütirten in Berlin mit "Julius Cäsar", und den berühmten Ausspruch des Titelhelden der gewaltigen Römertragödie variirend, konnten sie ausrufen: "Wir kamen, wurden gesehen und siegten!" - Zwei Akte lang hatte sich das berliner Publikum den ungekannten, mit Misstrauen empfangenen Gästen gegenüber zurückhaltend benommen, nach der Scene auf dem Forum aber brach der lang zurückgedämmte Beifall des Publikums los - ein Beifall, der sich von Akt zu Akt steigerte und von Abend zu Abend grössere Dimensionen annahm.

Ein grosser Theil der Presse trug der Stimmung des Publikums keine Rechnung und gerade diejenigen tonangebenden Kritiker Berlins, welche später begeisterte Anhänger der neuen Kunstrichtung wurden, verhielten sich anfangs eher ablehnend als wohlwollend. Die Kunst des Decorationsmalers, des Costümiers wurde anerkannt, die darstellenden Künstler wurden erst in zweiter Linie und meist absprechend kritisirt.

Aber von Jahr zu Jahr verringerte sich die Zahl der Gegner, wuchs die Zahl der Anhänger und als die Meininger zum letzten Male in Berlin auftraten, errang "Die Jungfrau von Orleans" den grössten Erfolg, der je einer Tragödiendarstellung beschieden war: Das Schiller'sche Drama wurde an mehr denn siebzig Abenden bei ausverkauften Häusern gegeben!

Der Vorwurf, dass in erster Linie den Decorationen, den Massenscenen der Erfolg, den die Meininger in Berlin, Wien, London, Petersburg u. s. w. errangen, zu danken war, musste schliesslich verstummen.

Welche Bühne hat so viele hervorragende Talente wie die der Meininger dem deutschen Theater zugeführt? Eine stattliche Reihe von Namen sei hier genannt, deren Träger entweder ihre ersten Schritte auf den weltbedeutenden Brettern bei den Meiningern wagten, oder doch ihre künstlerische Aus­bildung denselben zum grössten Theile zu verdanken haben.

Erst vor wenigen Wochen nach Auflösung der berühmten Künstlerschaar debütirren mit glücklichem Erfolge in Berlin : Elisabeth Hruby, die Herren Wilhelm Arndt, Joseph Klein, Gustav Scheffraneck, Stockhausen, welchen in kurzer Zeit Amanda Lindner, die gefeierte Jungfrau von Orleans der Meininger und der bestens bekannte Heldenspieler derselben, Alexander Barthel, nachfolgen werden.

Olga Otto-Lorenz und Alexander Otto sind in hervorragender Stellung am Hamburger Stadttheater thätig, Kutscherra, ein Liebling der Wienerinnen, ist eine Zierde des Deutschen Volkstheaters in der österreichischen Hauptstadt.

Künstler wie Kainz, Max Grube, Nesper, Hellmuth-Bräm, Krausneck, Kober sind aus der Schule der Meininger hervorgegangen; Kunstkoryphäen wie Ulrich, Haverland, Dettmer, Mitterwurzer, Robert haben sich zeitweise als Gäste dem berühmten Meininger-Ensemble angeschlossen.

Barnay hat mit Hülfe der Anregungen. welche ihm während langjähriger Gastreisen das kunstsinnige Streben des Herzogs Georg gegeben, das Berliner Theater zu einer edlen Volksbühne gestaltet, und das Deutsche Theater, sowie alle andern Bühnen, welche die Pflege echter dramatischer Kunst auf ihre Fahne schrieben, haben die Intentionen des fürstlichen Bühnenleiters zu den ihrigen gemacht.

Eine Kunstrichtung. die solche nachhaltige Erfolge aufzuweisen hat, ist epochemachend und wird dauernd sich erhalten, auch wenn die Bühne, von der sie ausgegangen, nicht mehr besteht.

Leider ist dieser Zeitpunkt jetzt eingetreten. Nach fünfzehn Jahre langen Gastreisen schliessen sich die Pforten des Meininger Musentempels, wie ihn die gebildete Kunstwelt kennen gelernt, und es ist eine leider nicht mehr wegzuleugnende Thatsache, dass die Meininger in Zukunft sich auf ein anderes Gebiet beschränken und in der Art und Weise, wie sie jahrelang in ganz Deutschland, ja, in einem grossen Theile von Europa, schulemachend wirkten, zu sein aufhören. Der Geist aber, den ihre Darstellungen befruchtend der Bühnenwelt eingehaucht, wird weiterleben, die Ideen und Impulse, welche sie vor fünfzehn Jahren bei ihrem Erscheinen der deutschen Bühne schenkten, werden sich weiter verbreiten und für immer wird der Name des Fürsten, der die Meininger Hofbühne in's Leben rief, sowie der seiner kunstsinnigen Gemahlin mit goldenen Lettern in der Geschichte der deutschen Schauspielkunst verzeichnet stehen! -

Zürnst Du mir, mein lieber Leser, dass ich anfangs mit einer unbescheidenen, voreiligen Frage an Dich herangetreten bin? - Ich sehe, das ironische Lächeln, das Deine Lippen vorhin umspielte, ist verschwunden und hell und freundlich sehen mich Deine Augen an. Dies ermuthigt mich, eine zweite Frage an Dich zu richten: Willst Du mir gestatten, Dir beim Durchsehen der nachfolgenden Blätter als Führer und Erklärer zu dienen? Der Stift des berühmten Künstlers Allers, der diese Blätter schuf, bedarf keiner umfassenden Erklärungen und ist es immer ein schlimmes Zeichen für eine Schöpfung von Malers Hand, wenn viele Worte sie erläutern müssen. Diese fest hingeworfenen Striche, welche in wenigen Zügen Gestalten und Vorgänge meisterhaft hinzuzaubern wissen, sprechen für sich selbst und durch sich selbst. Allers, dessen Zeichnungen eine Zierde der Berliner Nationalgallerie bilden, hat nicht nöthig, langathmige Erklärungen seinen Kunstschöpfungen beizufügen. Aber die Bühnenwelt ist Dir, mein lieber Leser, vielleicht nur von der glänzenden Aussenseite bekannt und ist es wohl für Dich wünschenswerth, die Welt der Coulissen, von fachmännischer Hand geleitet, eingehender zu betrachten und hie und da auch etwas von den Trägern der interessanten Künstlerköpfe zu vernehmen, die des Malers Hand hier in bunter Reihenfolge vor Dir erscheinen lässt.

Mir aber ist es ein Herzensbedürfniss, die Zeichnungen meines Freundes Allers zu erklären, ein Zoll der Dankbar­keit, dargebracht der Meininger Hofbühne, der ich meine künstlerische Aus­bildung verdanke, an deren fürstlichen Schöpfer und seine hohe Gemahlin ich dankbaren Herzens gedenken werde mein Leben lang. Haben dieselben doch dem Kunstjünger viele unschätzbare Lehren und Weisungen mit auf den Lebensweg gegeben. nach denen ich als darstellender Künstler gewirkt, nach welchen ich als Bühnenleiter die mir anvertraute Künstlerschaar bilde und fördere.

Statt aller Antwort deutest Du, mein lieber Leser, auf die erste Skizze in Deiner Hand. Du nimmst also mein An­erbieten an? So lass mich Dich plaudernd unterweisen. Geheimrath Ludwig Chronegk, der langjährige Intendant des Meininger Hoftheaters, sieht uns auf dem ersten Blatt entgegen. Chronegk war ursprünglich Darsteller komischer Charakterrollen und als solcher auch in Meiningen thätig. Herzog Georgs scharfes Auge entdeckte bald in ihm denjenigen darstellenden Künstler, welcher als gebildeter Fachmann im Stande war, den Schauspielern die Intentionen seines fürstlichen Herrn klar zu machen, die belehrenden Worte desselben durch theatralische Gesten und mimische Weisungen zu illustriren. Chronegk hat alle Gastspielreisen der Meininger geleitet, sämmtliche Vorbereitungen zu denselben getroffen und hierbei eine Arbeitskraft entwickelt, wie sie selten ein anderer Bühnenleiter in gleichem Maasse aufzuweisen vermag. Chronegk hat sich so in die Anschauungen und Ideen seines Fürsten hineingelebt, sein Wirken ist, so eng verwachsen mit den Erfolgen der Meininger, dass es nicht Wunder nehmen kann, wenn der leidende Gesundheitszustand Chronegks eine der Hauptursachen bildet, warum die Meininger nach so grossen Erfolgen auf einmal sich in die stille Residenz an der grünen Werra zurückziehen und in Zukunft auf Gastspielreisen verzichten werden.

Lassen wir nun vor Allem die Künstler und Künst­lerinnen des berühmten Ensembles an uns vorüber ziehen.

Vor Allem fesselt unsere Blicke Amanda Lindner, deren klassisch geformte Züge Allers in den nächstfolgenden Skizzen festgehalten hat. Als Priesterin geschmückt sehen wir sie (No. 2) vor uns, mit duftenden Rosen im Haar, mit sinnig ernstem Blick, ans dem schon eine leise Ahnung ihres künftigen Geschickes zu leuchten scheint. In rauhes Erz die Glieder gekleidet, zeigt sie sich (No. 3) unseren Blicken, wie sie den ihr folgenden französischen Rittern entgegenruft:

Erstiegen ist der Wall, wir sind im Lager!
Jetzt werft die Hülle der verschwieg'nen Nacht von Euch
Und macht dem Feinde Eure Schreckensnähe
Durch lauten Schlachtruf kund - Gott und die Jungfrau!

Amanda Lindner hat mit der Rolle der Jungfrau sich in Berlin im Jahre 1887 die Gunst des Publikums im Fluge erobert und nachher in der gleichen Rolle, welche auch von Olga Lorenz und Auguste Prasch-Greven­berg erfolgreich dargestellt wurde, in Holland, Belgien, Oesterreich, Russland, Dänemark, Schweden, Stürme enthusiastischen Beifalls entfesselt.

Leopold Teller, welcher alle Gastspielreisen der Meininger mitgemacht hat und dabei immer im vordersten Treffen stand, ist, gleich den meisten Hauptdarstellern der Meininger, Oesterreicher von Geburt und war früher in Pest, Leipzig als erster Charakterdarsteller thätig. Zu seinen Hauptrollen zählen: Muley Hassan in "Fiesco", Karl der Neunte in "Bluthochzeit" von Lindner, Shrewsbury in "Maria Stuart", Buttler und Kapuziner in "Wallenstein", Franz in den Räubern, Autolykus "Winter­märchen" u. s. w. Allers hat den interessanten Römerkopf des Cassius, von welchem der Dichter sagt:

Der Cassius dort hat einen hohlen Blick,
Er denkt zu viel, die Menschen sind gefährlich -

in der Maske Te11ers im folgenden Blatte (No. 4) uns vorgeführt.

Einen ebenbürtigen Künstler im Fache des Genannten zeigt uns (No. 5) das nächste Blatt: Karl Weiser als Franz Moor, welcher seit einer Reihe von Jahren als erster Charakter­darsteller neben Teller und dem nunmehr im Berliner Schauspielhause wirkenden Max Grube in Meiningen thätig ist.

Neben Karl Weiser erblicken wir die vielseitigste Künstlerin der Meininger, Auguste Prasch-Grevenberg (No. 5), welche Rollen wie Lorchen in "Die beiden Leonoren", Prinzessin Sascha, Anna-Liese, Toinette verkörpert und da­neben mit gleichem Erfolge tragische Aufgaben wie Bertha in "Ahnfrau", Amalia in den Räubern, Jungfrau von Orleans zu lösen versteht.

Der zweite Auftritt des ersten Aufzuges aus den "Räubern", der mit den Worten des Franz beginnt: "Was wohl diese armen Blumen ausbaden müssen" hat dem Griffel des Künstlers als Vorwurf gedient.

"Der Schönste der Meininger", Alexander Barthel, der vielbewunderte Heldenspieler der Meininger, welcher, ehe er sich dem berühmten Ensemble desselben anschloss, im Fach des jugend­lichen Helden in Braunschweig und Hamburg thätig war, zählt zu seinen Hauptrollen: Karl Moor, Jaromir in "Ahnfrau", Max in "Wallenstein", Mortimer in "Maria Stuart", Melchthal in "Tell", Oswald in "Gespenster", ,,Fiesco" u. s. w. Eine der wirkungsvollsten Leistungen ist sein Marc Anton in "Julius Cäsar" (No. 6).

Paul Richard, dem trefflichen Heldenvater und Regisseur, ist Skizze No. 4 gewidmet, welche ihn uns als Julius Cäsar zeigt.

Der Name Anna Haverland ist durch die Wirksamkeit der Künstlerin am Dresdner Hoftheater und am Deutschen Theater in Berlin, durch ihre zahlreichen Gastspiele im ganzen Deutschen Reiche in den weitesten Kreisen bekannt geworden. Auf den Gastspielreisen der Meininger erzielte sie ihre grössten Erfolge als Iphigenie (No. 6), Thalea in Fitger's "Hexe" (No. 12) und als Gräfin Terzky in "Wallenstein".

Im Anschluss an die ebengenannten Künstler wollen wir noch einige andere erwähnen, welche auf spätere Bilder der vorliegenden Mappe erscheinen: Frau Marie Berg (No. 15), hervorragend als Darstellerin von Heldenmüttern (Katharina: „Bluthochzeit", Isabella: "Braut von Messina", Paulina: "Wintermärchen"); Frau Emma Teller geb. Habelmann als Vertreterin desselben Faches, früher mit Erfolg als tragische Liebhaberin und Soubrette thätig. Hauptrollen: Thusnelda in "Hermannsschlacht", Gräfin Terzky in "Wallenstein", Elisabeth in "Maria Stuart" u. s. w.

Den köstlichen Naturburschen und jugendlichen Ko­miker Carl Görner, den trefflichen Darsteller komischer Charakterrollen Romanus Hassel wollen wir hier nur beiläufig erwähnen; wir werden auf die Genannten, sowie auf andere Mitglieder bei Beschreibung der einzelnen Blätter zurückkommen.

Nun wollen wir unsere Blicke hinter die Coulissen werfen. Auf Skizze No. 7 sind zwei Vorgänge illustrirt, welche so recht aus dem vollen Bühnenleben gegriffen sind.

Ein schneller Umzug auf der Bühne setzt eine Menge Hände in Bewegung. In wenigen Minuten muss derselbe bewerkstelligt sein, denn die listige Kammerkatze Toinette - Auguste Prasch-Grevenberg - hat sich im "Eingebildeten Kranken" mit Blitzesschnelle während eines Aufzuges in einen gelehrten Doctor zu verwandeln. "Rasch, rasch, Hossen", ruft sie erregt der Friseuse zu, "mein Stichwort kommt gleich". Die Angeredete waltet im Verein mit der Obergarderobiere Stangenberg schnell, aber sicher und ruhig ihres schwierigen Amtes. Der Inspizient Rupprecht hält bereits die Thür in der Hand, durch welche in wenigen Sekunden Toinette auf die Bühne treten muss. Nur noch einige Zeilen sind's bis zum Stichwort, aber auch nur wenige Augen­blicke haben zu verstreichen, bis die Perrücke sitzt, die Robe umgeworfen ist und Toinette mit Brille und Stock bewaffnet auf der Scene erscheint. In der Ecke ruht sich Theatermeister Schäfer aus. Heute hat er, ebenso seine Genossen Behlert, Ostertag, Arnold u. s. w., einen ruhigen Abend. "Der eingebildete Kranke" verlangt nur eine Decoration. "Moliere war doch ein grösserer Dichter als dieser Shakespeare mit seinen ewigen Verwandlungen", denkt der Wackere und unbekümmert um die Scene neben ihm schläft er ein.

An jedem Abende werden auf der Probentafel die Stunden ersichtlich gemacht, zu welchen des anderen Tages die Schauspieler im Theater erscheinen müssen. Wie spähen da alle Blicke ängstlich auf Rupprechts Kreide! "Na, das ist ja wieder ein netter Speisezettel" ruft Carl Grube, denn seine Hoffnungen auf einen schönen Vormittagsausflug sind mit der "für Alle" angesetzten Maria Stuart-Probe zunichte geworden. Amanda Lindner denkt nicht an Ausflüge, sondern daran, ob nicht bald eine ihrer Hauptrollen auf den Spielplan gesetzt wird. Recht realistisch platzt aber Scheffraneck dazwischen: "Kruzitürken - schon wieder um Mitternacht Probe! Da muss man ja mit der Laterne ins Theater steigen !"

Wir haben vorher den Umzug Toinettes mitgemacht, nun wollen wir uns auch die anderen Gestalten ans Molieres unvergänglichem Meisterwerke "Der eingebildete Kranke" näher betrachten. Vor uns (No. 8) sitzt der kluge Beralde (Willi Froböse), der dazu berufen ist, im Hause seines von Charlatanen umgebenen Bruders endlich die Ordnung wieder herzustellen. Toinette fleht: „Ich bitte Euch, verlasst nur Eure arme Nichte nicht, Herr Beralde !'' Dieser erwidert ruhig: "Ich werde Alles daran setzen, um ihren Wunsch erfüllen zu können".

Wie angstvoll blickt, im Gegensatz zu seinem ruhigen Bruder Beralde, der eingebildete Kranke Argan (Romanus Hassel) seinem Töchterchen Louison (Walther Godeck) in die treuen Kinderaugen (No. 8). Er weiss, dass in seinem Hause vieles vorgeht, was ihm verheimlicht wird und sucht Louison über gewisse Vorgänge auszuforschen. Louisons Aussagen geben seinem Argwohn neue Nahrung, befriedigen ihn aber nicht völlig.

"Und weiter war nichts?" fragt er lauernd.

"Nein, lieber Papa!"

"Da ist aber mein kleiner Finger, der noch etwas murmelt."

,,O Papa, dann lügt Euer kleiner Finger," erwidert Louison schlau und sieht ihrem Papa treuherzig in die argwöhnischen Augen.

Die nächste Skizze (No. 9) zeigt uns Argan im Verkehr mit seiner heuchlerischen Gattin Belinde (Fr. Teller).

Argan: "Ach, mein Lamm, wie dankbar bin ich Dir für alle Deine Sorgfalt!"

Belinde (legt ihm die Kissen zurecht): "Richte Dich ein wenig auf, damit ich Dir diese Kissen unterlegen kann. Das hier thue ich an diese Seite, damit Du Dich anlehnen kannst und dies an die andere. Nun noch eins hinter den Rücken und eins, um den Kopf zu stützen."

Wie behaglich fühlt sich Argan in diesem Augenblick; der Verblendete ahnt nicht, dass die Kissen, von Toinettens Hand geschleudert, bald um seinen altersschwachen Kopf fliegen werden.

Ihrer Tochter Angelique (Leontine Adler) gegenüber lässt Argans Gattin die Maske fallen, doch ruhig erwidert jene auf ihre Schmähungen: "Das Alles hilft Euch zu nichts. Ich werde Euch zum Trotze schweigen und um Euch die Hoffnung zu benehmen, Ihr könntet Euren Vorsatz erreichen, will ich Euch aus den Augen gehen. (No. 10).

Wer kann's der holden Angelique verargen, dass sie den von ihrer Stiefmutter bevorzugten Freier nicht mag, den jungen Diaforius (Carl Görner), den wir sammt seinem ihm ebenbürtigen Papa (Otto Godeck) auf Skizze No. 11 erblicken. Der Alte versichert: "Ich sage das nicht, weil es mein Sohn ist, aber ich kann mit Wahrheit versichern, dass ich alle Ursache habe, mit ihm zufrieden zu sein und dass, wer ihn kennt, ihn als einen jungen Menschen rühmt, an dem keine böse Ader ist. Wir hatten die grösste Mühe ihn lesen zu lehren; als er neun Jahre alt war, kannte er noch keine Buchstaben. Gut, sagte ich zu mir selbst, die langsam wachsenden Bäume tragen die besten Früchte!" Ein Blick auf die beiden Figuren zeigt uns die dünkelhafte Dummheit des Alten, die nichtssagende Afterweisheit des Jungen.

Ausser diesen Hauptfiguren des Lustspiels hat Allers noch den räuchernden Diener (A. Rolfs) auf Blatt No. 10 verkörpert.

Aus Schiller's "Wallenstein" tritt in Skizze No. 11 der Trompeter aus dem Lager vor uns hin - ein echter "Meininger" vom Scheitel bis zur Sohle; neben dem martialischen Gesellen steht der viel geplagte Schulmeister (Heinrich Merlé) und der lebenslustige Holk'sche Jäger (Carl Machold).

Neben Anna Haverland als Thalea zeigt uns Skizze No. 12 Alma Rügheimer in griechischer Gewandung.

Einen internen Vorgang aus der Welt der Coulissen hat Allers im folgenden Blatt (No. 13) behandelt. Die kunstsinnige Gemahlin des Herzogs, Freifrau von Heldburg, wohnt nicht nur jeder Probe bei, sondern pflegt ihre Lieblinge nach dem Residenzschlosse zu bestellen, um künstlerische Fragen mit ihnen zu besprechen. Kammerdiener Rothe entledigt sich eines solchen an Auguste Prasch-Grevenberg gerichteten Auftrags, während im Hintergrunde des Conversationszimmers zwei eifrige Genossenschafter in die Lectüre des Vereinsorgans deutscher Bühnenangehöriger sich vertiefen.

Frl. E. Sedlmayr, die nunmehrige Gattin des in Wien wirkenden Victor Kutscherra vollendet, von den Garderobieren Möller und Stangenberg unterstützt, in der Garderobe ihre Toilette (No. 13) und erfreut durch ihre bildschöne Erscheinung als Bianca in der "Widerspenstigen" und in "Rose von Tyburn" (No. 14) unser Auge. - Die Meininger auf der Reise! (No. 15). Eng zusammengepresst sitzen Hassel, Richard, Techel, Stockhausen, Steingötter im raucherfüllten Coupe. Aber sie sind vergnügt und' guter Dinge und unterhalten sich beim Skat eben so gut wie nebenan ihr College Barthel, der dem Gespräche der Damen Berg und Prasch lauscht. Vielleicht behandeln die Letzteren gerade dasselbe Thema im Eisenbahnwaggon, welches der trefflichen Minna Schmidt, der "bürgerlichen Mutter", zu denken giebt, während sie sich auf der Probe befindet (No. 16). "Nein", seufzt sie, "was doch heut' zu Tage Alles zum Theater geht." Der lustige Naturbursche Görner neben ihr lässt sich durch solche pessimistische Stossseufzer nicht stören und pfeift vergnügt aus "Fra Diavolo": "In der That, mein Wuchs ist nicht übel!"

Was hilft aber aller Humor, wenn man, wie der arme Barthel (No.17) ans Zimmer gefesselt ist? Selbst die schönsten Lorbeerkränze können ihm seine Indisposition nicht vergessen machen, die aber nicht lebensgefährlich ist, wie ein Blick auf das Tischchen neben seinem Schmerzenslager beweist.

"Schon wieder Probe zur Jungfrau? - Ne, ne, is nich'' ruft er dem eintretenden Theaterdiener Carl Schäfer zu. Als dieser erwidert: "Ja, Sie müssen kommen, es ist Costümprobe und quittiren Sie nur "Die Weiber von Schorndorf'", "Siegfried Abel", erreicht die Indisposition Barthel' s die äusserste Grenze. Hasste doch Kain seinen Bruder Abel weit weniger, als Barthel die Rolle des Abel hasst, und noch dazu Costümprobe! Was zu viel ist, ist zu viel! "Nu aber raus! Ich habe die Influenza!"

Wir können Barthel diesen Verzweiflungsausbruch ebensowenig übelnehmen, als Froböse (No. 17) die Frage, was denn die vielen "Fusseln an seinen Beinkleidern zu bedeuten haben, die ihn im Gehen gewaltig hemmen." Das nützt jedoch nichts, lieber Froböse! Die Panzerhemden der Meininger sind furchtbar schwer, aber echt; der Reifrock der Elisabeth drückt entsetzlich; Hermann der Cherusker erstickt beinahe unter der Last seines Löwenfelles - aber gegen die Meininger Kleiderordnung giebt es keinen Widerspruch und Hoffriseur Kunst hat ganz recht, wenn er mit der katego­rischen Gegenrede "das ist historisch" alle weiteren Bemerkungen abschneidet.

Die nächsten Skizzen zeigen uns verschiedene Charakterköpfe. Da sitzt zunächst Wilhelm Arndt, welcher die Figur des Isolani (No. 19) im "Wallenstein" durch seine unübertreffliche Darstellung zu einer der bedeutendsten der ganzen Trilogie macht und auch am Berliner Theater einen vollen Erfolg durch diese Charakterstudie sich errang. Neben ihm erblicken wir Romanus Hassel als trefflichen Pater aus den Räubern. Schade, dass Allers die Wallensteinmasken Grube's und Knorr's seiner Mappe nicht einverleiben konnte. Sie hätte einen künstlerischen Kontrast gebildet zu den lieblichen Kinderköpfchen, die uns der Page aus "Wallenstein" (No. 18) und das kleine Mädchen im Costüm der damaligen Zeit (No. 20) zeigen.

Wie flink müssen die Pagen beim Gastmahl Terzky's in den Piccolomini sich regen! Das Gastmahl aber nimmt sie erst im 4. Akt in Anspruch. Wer kann es ihnen verargen, wenn sie sich in der Garderobe durch Handarbeiten (No. 21) die Zeit vertreiben und uns so verrathen, dass unter der kleidsamen Knabentracht ganz allerliebste Mädchengestalten stecken?

Auguste Prasch-Grevenberg, welche. schon auf einem der früheren Blätter als Amalia in den "Räubern" erschien. ist in derselben Rolle in der Scene des 3. Aktes singend in der Laube dargestellt und gewährt uns der Maler einen Einblick in die scenischen Vorbereitungen hinter den Coulissen. .

Der "Schatz der Räuber", den wir im Vordergrunde des Bildes aufgestapelt sehen, baut sich aus echten Gold- und Silbergefässen auf, unecht ist dagegen der Gesang Amalias, denn er kommt aus der Kehle der liebreizenden Sedlmayr, während die Lautenklänge nicht von den zarten Fingern der sehnsüchtig an den Geliebten denkenden Räuberbraut, sondern von den Instrumenten der Herren Musikdirector Julius Böse, Pfeffer (hoch auf einer Kiste als Senior der Meininger Hofkapelle thronend) und Hager (neben Pfeffer stehend) hervorgebracht werden. Im Vordergrund lauschen der Verleger der Meininger Friedrich Conrad und der biedere Schweizer Emil Herbrandt der ergreifenden Melodie des Liedes, das, wie sämmtliche Compositionen zu den Gastspielstücken der Meininger, den leider zu früh verstorbenen hochtaleritirten Musikdirector Reiff zum Verfasser hat.

Wer eine Vorstellung der Meininger mit angesehen, der ahnt nicht, wie viele Proben nöthig waren, um dieselbe zu ermöglichen. Ein einziger Akt wie der letzte von "Julius Cäsar" erfordert eine grosse Anzahl eingehender Proben, und Regisseur wie Inspizient haben vollauf zu thun, ehe sie in die Statistenmassen Leben und Bewegung bringen. Chronegk versteht sich trefflich darauf, grosse Schlachten ohne Blutvergiessen zu schlagen. Die biederen deutschen Soldaten der Neuzeit weiss er durch treffende Redewendungen zur Action zu begeistern und sie so lange zu drillen, bis sie sich einbilden, sie seien edle Römer und hatten die Schlacht von Philippi mitzumachen. (No. 22. ) "Ihr da oben, Ihr Vorposten, mit grösserer Spannung geradeaus sehen," ruft er den Soldaten zu. Neben ihm stehen Regisseur Richard und Hassel, jeden Augenblick bereit, als Unterfeldherren des Strategen Chronegk auch in die Schlacht einzugreifen. Ein Unterfeldherr ist dem grossen Publikum nicht bekannt. Kein Theaterzettel verkündet seine Namen und gewöhnlich wird derselbe hinter den Coulissen nur dann genannt, wenn eine scenische Verwirrung entsteht. Der Inspizient nimmt einen der verantwortlichsten Posten beim Theater ein; die Inspizienten der Meininger Stein, Brehm und Rupprecht aber sind Muster in ihrem Fache zu nennen. Nicht mit Unrecht hat Allers Brehm's charakteristischen Kopf auf zwei Skizzen in den Vordergrund gerückt. Wie schwer es ist, auf der Bühne Ordnung zu halten, sehen wir beim Anblick der Verwandlung in den Räubern (No. 5). Wie läuft da Alles bunt durcheinander! Die Arbeiter walten ihres schwierigen Amtes, so schnell als möglich den Wechsel der Scene vorzunehmen, dazwischen lagern der biedere Schweizer (Emil Herbrandt) und seine Genossen, welche den Roller (Leopold Teller) beneiden, der bereits mit seiner Aufgabe fertig ist - und sich nun nach des Tages Mühen erholen kann.

"Bsssssst" schallt es von Zeit zu Zeit in die verschiedenen Gruppen hinein. "Bitte um Ruhe - - mässigen Sie Ihr Organ, Herr Froböse ; man hört draussen ja jedes Wort. Ich muss Sie sonst aufschreiben !" So flüstert Brehm (No. 23), und seinen Anordnungen fügen sich die Soldaten der römischen Cohorten (No. 23) wie die französischen Ritter und Edelfrauen.

Die vorletzte Skizze der Mappe veranschaulicht die Vorbereitungen zum Krönungszuge aus der "Jungfrau von Orleans". Welch' eine Masse von Figuren gewahren wir auf dem vorliegenden Blatte! Auf den Treppenstufen neben der Fahne und dem Schwerte der Jungfrau ausgestreckt lagern die französischen Bogenschützen, welche bald aus ihrer behaglichen Ruhe durch den Inspizienten Rupprecht aufgestört werden, welcher in Hast die Krönungsinsignien und andere für den Zug nöthige Requisiten herbeischleppt. Neben Ihm erblicken wir die Garderobiers Schmidt und Geissenhöhner, zwei gewichtige Leute, denn ihnen gehören die kunstgeübten Hände, welche im Verein mit denen Seeber's die weltberühmten Meininger Costüme hervorgebracht haben. Eine ebenbürtige Collegin besitzen dieselben in Frau Moeller, die wir im Mittelpunkt des Bildes erblicken. Ihre fleissigen Hände ruhen aus von des Tages Arbeit, und stolz betrachtet sie das Costüm des vor.ihr stehenden jungen Mädchens: Frau Moeller hat ein Recht darauf, wohlgefällig die kleidsame Gewandung zu betrachten, sind doch alle weiblichen Costüme nach Skizzen des Herzogs Georg von ihr gefertigt worden. Neben dem Inspizienten Rupprecht steht Anna Schwenke, eine der originellsten Gestalten aus den Volksgruppen. Im Hintergrunde des Bildes sehen wir eine reizende .Mädchengruppe mit originellen Burgunderhauben, daneben eine Gruppe geistlicher Würdenträger von Chorknaben umgeben, oberhalb derselben die Marschälle, welche den Zug einleiten sollen, gefolgt von Trompetern, welche wir in der äussersten linken Ecke erblicken. Eines der grössten Meisterwerke der Regiekunst des kunstliebenden Fürsten erscheint in diesem Bilde vereinigt. Wer einmal die "Jungfrau von Orleans" in der Darstellung der Meininger sah, dem wird diese Scene, wo auf einem verhältnissmässig kleinen Raume ein wunderbar abgetöntes Gesammtbild entfaltet wird, unvergesslich bleiben!-

So sind wir denn bei der letzten Skizze der Mappe der Meininger angelangt, welche uns Regisseur Richard in der wohlverdienten Sommerruhe als Alpenfex zeigt. Vergebens haben wir aber das Bild des Mannes gesucht, welcher die Meininger zu dem gemacht hat: was sie sind und für alle Zeiten in der Geschichte der deutschen Schauspielkunst bedeuten' werden.

Von dem kunstliebenden Fürsten gilt jedoch, was Schiller von dem Helden seiner Wallensteintrilogie im Prologe sagt. Jedes Bild dieser Mappe mahnt uns, an den genialen Fürsten, dessen ganzes Leben und Streben der dramatischen Kunst gewidmet ist. Wenn auch sein Bild in dieser Mappe fehlen muss - in den kühnen Schaaren,

Die sein Befehl gewaltig lenkt, sein Geist beseelt,

Wird Euch sein Schattenbild begegnen.



Aloys Prasch.

 

Transkription von Gerd Fahrenhorst