Nachruf von Fedor von Zobeltitz auf C. W. Allers

aus: Hamburger Nachrichten, Abendausgabe, 26. Oktober 1915

 

C. W. Allers

Eine Erinnerung

Als ich vor einigen Tagen in den Blättern las, daß Allers gestorben sei, huschte eine ganze Welle von Erinnerungen an mir vorüber. Es mögen jetzt gerade fünfundzwanzig Jahre her sein, als ich auf eigentümliche Weise seine Bekanntschaft machte. Ich hatte einen in der Zirkus- und Artistenwelt spielenden Roman geschrieben, und mein Verleger hatte den Wunsch, ihn von Allers illustrieren zu lassen. So packte ich denn das Manuskript ein und legte einen netten Brief hinzu, in dem ich Allers bat, er möge den schönen Roman doch einmal durchlesen und mir dann freundlichst mitteilen, ob er nicht eine Anzahl Skizzen dazu zeichnen wolle; über das Honorar würden wir uns schon einigen. Acht Wochen verflossen, ohne daß ich Antwort erhielt, und als ich dann sachte, höflich und vorsichtig mahnte, erhielt ich umgehend das Manuskript unfrankiert zurück, mit einem beigelegten Zettel, auf dem Allers schrieb: er hätte mehr zu tun als alle ihm zugehenden Schriftstücke zu lesen und ersuchte, ihn nicht weiter zu belästigen. Nun wurde ich natürlich wütend, setzte mich hin und schrieb Allers zurück, ich hätte in meinem Leben schon eine ganze Menge großer Künstler kennen gelernt, aber noch nie einen, der zugleich auch so ein großer Flegel gewesen sei. Hierauf folgte wieder ein Brief von ihm: drei Zeilen nur, nämlich die Frage, ob ich ihm "Rechenschaft" geben wolle. Jetzt telegraphierte ich sogar: Jawohl, jederzeit und mit Vergnügen. Und nun wartete ich auf seine Forderung und hatte auch schon einen Freund von mir, den Schriftsteller Alexander Baron Roberts, gebeten, mir selbst bei dem bevorstehenden Handgemenge nach Sitte und Pflicht sekundieren zu wollen. Aber ich wartete vergebens. Aller ließ nichts mehr von sich hören; Roberts wurde ungeduldig in seinem Blutdurst, wollte ihm grob schreiben, doch ich erklärte, daß es ja nicht an uns läge, ihn zu dem Zweikampf zu kitzeln, und so schlief die Geschichte ein.

Im Winter darauf war ich in Capri, wohnte bei Pagano und saß beim Mittagsessen einem behäbigen, etwas vierschrötigen jungen Mann mit breitem, gemütlichen Gesicht gegenüber, den mir mein Nebenmann sofort als den weltberühmten Zeichner Allers vorstellte. Wir verbeugten uns, machten anfänglich etwas verlegene Gesichter, und dann trank Allers mir freundlich mit dem dicken, geschwefelten Capreser Paganos zu, und hierauf nahm ich mein Glas und sagte "Auf Ihr Wohl, Herr Allers", und als wir in der Folge noch ein paar andere Sorten Capriwein probierten, wurde es ganz gemütlich. Nach Tisch aber zog Allers, der schon ein bißchen wackelte, mich in eine Ecke und fragte mich, ob ich derjenige sei, mit dem er schon mal "freundschaftlich" korrespondiert hätte, und als ich dies bejahte, lachte er herzlich und sprach die Ansicht aus, es sei doch recht gut, daß wir uns damals nicht in die Haare gekriegt hätten. Er stamme von der Waterkant und sei eine etwas borstige Natur, meine es aber nicht so, durchaus nicht; zuerst hätte er sich über meine Grobheit geärgert und dann darüber gefreut, weil er doch auch nicht gerade höflich gewesen sei - und schließlich schlug er vor, noch ein Glas Schäumendes zu trinken. Das taten wir denn auch. Beim Pagano gab es damals an Schäumenden außer Asti spumante nur Rotkäppchen, einen deutschen Sekt, und Heidsieck. Deutscher und französischer Champagner waren gleich teuer oder gleich billig, ich glaube, nur 8 Lire die Flasche (es lag dies an den Zollverhältnissen), und da wir uns einbildeten, auf diese Weise eine Masse zu sparen, so tranken wir unentwegt Heidsieck, weil der in Deutschland das Doppelte kostete.

Allers baute sich derzeit eine stattliche Villa in Capri. Das Untergeschoß, die Terrasse und eine Pergola waren bereits fertig; er wohnte auch schon dort mit seinen Eltern, hatte aber zahlreiche Freunde in der Albergo Pagano und speiste häufig an unserer Gasttafel. So freundeten wir uns dann mählich miteinander an. Er war ein gut zu leidender Mensch, etwas derb, aber behaglich in seinem Wesen und ein unterhaltsamer Plauderer. Zuweilen lud er uns zu einem Bierabend ein, auch einmal zu der Eröffnung seiner Kegelbahn, und bei solchen Gelegenheiten erzählte er sehr amüsant von Bismarck, bei dem er einige Zeit in Friedrichsruh zu Gast gewesen war, um ihn in dem Zuständlichen seiner Besitzung so zu porträtieren, wie er sich räusperte und wie er spuckte. Und das hatte er auch heraus: an Lebenswahrheit fehlte es seinen Skizzen nie, aber leider immer an künstlerischer Vertiefung. Damals arbeitete er an zwei neuen Werken, die "Capri" und "La bella Napoli" heißen sollten und zu denen ein Freund, Alexander Olinda, den Text verfaßte, und um die schöne Insel kennen zu lernen, unternahmen wir häufig Fußtouren zur Punta Tragara, zu den Fariglioni und zum Salto, nach Anacapri und auf den Monte Salaro.

Vor einem Vierteljahrhundert war Capri noch ursprünglicher als heute. Es gab nicht allzuviele Hotels. Die Engländer wohnten in der Quisisana oder im Louvre, wo die Pension aber auch nicht über acht bis neun Franken hinausging, die Deutschen im Hotel de France oder Gran Bretagna, die Künstler in der Grotte bleu oder bei Pagano zu sechs Franken täglich. Der Weg von der Marina nach Capri war gut, ebenso die breite, an köstlichen Aussichten überreiche Straße nach Anacapri, aber sonst war Weg und Steg miserabel, und wenn man vom Marktplatz aus westwärts in die schmalen Gassen einbog, stieß man auf den starrenden Schmutz Italiens. Krupp hatte noch nicht seine freigebige Hand über die Insel geöffnet.

Bei unseren Ausflügen hatte Allers immer sein Skizzenbuch bei sich, und es war erstaunlich, zu sehen, wie schnell er im Augenblick eine charakteristische Gruppe, eine originelle Figur, eine ansprechende Szene herausfand und festzuhalten wußte. Eine kleine Zeichnung von seiner Hand aus jenen Tagen besitze ich noch: eine rasch hingeworfene Skizze unserer im Grase frühstückenden Gruppe neben der Villa Tiberiana. Das waren Leute, wie sie sich in der Albergo Pagano zusammengefunden hatten: ein österreichischer und ein italienischer Maler, eine junge russische Fürstin, ein zweifelhafter Rumäne, ein Berliner Kaufmann und ein in Anacapri als Einsiedler hausender Komponist, der fortwährend heftig komponierte und dann von Zeit zu Zeit auf das Meer hinausfuhr, um seine gesammelten Werke in die See zu werfen. Zur Weihnachtszeit kam auch einmal Maestro Mascagni hinüber, der eben anfing, berühmt zu werden und den ich ein paar Jahre vorher als Kapellmeister des Teatro Fenice in Neapel kennen gelernt hatte, einer elenden Bude, einem Kellertheater, in dem man allerhand kleine Operetten aufführte; aber solche Erinnerungen waren Mascagni unangenehm. Wieder einige Jahr später traf ich ihn in Rom bei Gelegenheit einer Aufführung seiner "Iris", die er selbst dirigierte; da war er schon ein großer Mann geworden und behandelte die Nebenmenschen von oben herab. Zu unserer kleinen Gesellschaft zählten zeitweilig auch zwei deutsche Schriftsteller, Proelß und Urban, und ein junger Serbe mit einem Namen, der auf "witsch" endete; doch ließ sein Träger sich Herr Graf titulieren, behauptete auch, er stamme von irgendwelchen alten und sehr berühmten Vasallenfürsten ab, die gleichfalls mit "witsch" endeten. Mit diesem Serben, den wir scherzeshalber Graf Sliwowitz nannten, hatte Allers einmal einen kleinen Zusammenstoß. Graf Sliwowitz pokulierte gern und konnte nichts vertragen. Eines Abends im Lesesalon war er sichtlich angetrunken, lärmte herum, störte alle Welt und belästigte vor allem eine hübsche junge Amerikanerin, die ihr schönes Haar in zwei Zöpfen trug. Allers hatte sich schon öfters über den Serben geärgert, und als der Trunkene plötzlich die Amerikanerin an einen ihrer Zöpfe faßte, so daß diese erschrocken aufschrie, packte ihn Allers mit seinen sehr kräftigen Fäusten und wollte ihn vor die Tür setzen. Graf Sliwowitz wehrte sich, turkelte aber und fiel mit der Verlängerung seines Rückens in den Kamin, in dem noch Kohlen glühten. Natürlich kreischte er wie besessen und brauchte nun nicht mehr vor die Tür gesetzt zu werden: er flüchtete von selbst und eilends, packte noch in der Nacht seine Koffer und fuhr mit dem Frühdampfer auf Nimmerwiedersehen nach Neapel hinüber.

Am Weihnachtsabend fand ein Kostümfest statt, das ein Zigeunerlager darstellte. Allers half uns mit Rat und tat dabei, und als ich einige Tage später zur Reise rüstete, brachte er mich nach der Marina. Ich erhielt daheim auch noch eine Grußkarte von seiner Hand, hörte dann aber lange nichts von ihm, bis die Zeitungen dunkle Andeutungen machten, er sei aus Capri verschwunden. Über die Isola bella brausten derzeit die ersten trüben Wellen jener schmutzigen Flut, die später auch ihren besten Helfer und Wohltäter verschlingen sollten.

Vor einigen Jahren war ich in Indien, so etwa um diese Jahreszeit, und fuhr von Kalkutta nach Benares. In Bankipur stieg ich aus, um in der Bahnwirtschaft recht und schlecht etwas zu Abend zu essen, und da stand unerwartet Allers vor mir. Im ersten Augenblick erkannte ich ihn gar nicht; er trug einen Staubmantel und einen Tropenhut, der sein Gesicht beschattete. Dann aber riefen wir uns an und schüttelten uns die Hände und saßen ein Viertelstündchen bei einem Glas Ale zusammen. Er wollte mit der Zweigbahn südöstlich weiter nach Madhupur, ich nach Benares, wir mußten uns also bald wieder trennen. In aller Eile erzählte er mir nur, daß er wohl und munter und auf einer Reise um die Erde sei; dann wolle er nach Deutschland zurück. Von Italien habe er genug; er gebrauchte einen italienischen Ausdruck, der sich nicht gut übersetzen läßt. Er begleitete mich auch noch an den Zug, und wir verabredeten ein Stelldichein in Spences Hotel in Kalkutta, wo ich mich nach meiner Rückkehr pünktlich einfand. Aber ich habe ihn nicht wiedergesehen. Er war ruhelos geworden. Ein Bekannter hat ihn noch einmal in Neuseeland getroffen. Nun hat ihn ein rascher Tod hinweggerafft: in Karlsruhe, der Stadt seiner ersten Studien, wo er bei Th. Poeck zeichnen und bei Ferdinand Keller malen gelernt hatte. Aber auch seine Vaterstadt Hamburg braucht ihn nicht zu vergessen.

F. v. Z.

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